You are currently viewing „Was ich mir wünsche ist, dass Frauen keine Angst mehr haben“

„Was ich mir wünsche ist, dass Frauen keine Angst mehr haben“

  • Beitrags-Autor:

Ein Gespräch mit Clara Rigoni über die Rolle der Frau in Italien und Migrant:innenpolitik in Deutschland.

Die Geschichte des italienischen Frauenwahlrechts ist langwierig. Verzögert durch zwei Weltkriege, das Regime von Benito Mussolini und die Katholische Kirche bekommen Frauen erst 1946 das aktive und passive Wahlrecht. Heute ist die Rolle der Frau in Italien noch immer konservativ geprägt.

Entwicklung des Frauenwahlrechts: „Da wurde das erste Mal eine andere Idee von Familie eingebracht“

Die Geschichte des Frauenwahlrechts in Italien beginnt im 19. Jahrhundert, als Frauen begannen, gegen die vorherrschende Vorstellung zu kämpfen, die Frauen auf ihre Rolle als Mutter reduzierte. Eine dieser Frauen war Anna Maria Mozzoni. Ab den 1870er Jahren beteiligte sie sich an der feministischen Zeitung „La Donna“, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzte. 1906 legte sie mit anderen Frauen, u.a. bedeutenden Persönlichkeiten, wie Maria Montessori, eine Petition vor. „Das war einer der ersten formalisierten Versuche, das Frauenwahlrecht einzuführen. Das Recht ist aber tatsächlich erst viel später eingeführt worden. Es gibt viele historische Gründe, natürlich die zwei Weltkriege, aber dazwischen hatten wir auch 21 Jahre Faschismus“, erklärt die deutsch-italienische Juristin Clara Rigoni.

Diktator Mussolini versprach die Einführung des Frauenwahlrechts, ließ dann jedoch alle Wahlen abschaffen. Erst 1945 wird durch das Decreto Bonomi das aktive und ein Jahr später das passive Wahlrecht für Frauen durchgesetzt. „Die erste Wahl, bei der das Frauenwahlrecht anerkannt war, war auch das erste Mal seit mehr als 20 Jahren, bei dem man überhaupt wählen gegangen ist. Das war natürlich eine große Feier, auch für die Männer.“

In dieser Zeit war Italien noch stark gezeichnet von Diktatur und Weltkrieg. Viele Frauen waren schon lange nicht mehr in die Schule gegangen, konnten keine Zeitungen lesen. „Es war also schwierig die Leute zur Wahl zu bringen. Und da gab es wirklich eine große Kampagne von den Hauptfrauenorganisationen, der ‘Unione donne italiane‘ und der ‚Centro Italiano Femminile‘. Diese Organisationen haben viel gemacht, um die Frauen zur Wahl zu bringen. Sie sind zu den Wohnungen gegangen, um den Frauen zu erklären, wie man wählt. Das war wirklich eine riesige Kampagne mit vielen Postern und Mobilisation von Frauen, um andere Frauen zur Wahl zu bringen.“

Entscheidend war die Wahl von 21 Frauen in den „Assemblea Costituente“, den Kongress, der sich mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung befasste. „Da wurde das erste Mal eine andere Idee von Familie eingebracht. Vorher war die Idee von der katholischen, patriarchalischen Familie sehr dominant. Zum ersten Mal brachten Frauen aus der sozialistischen und kommunistischen Partei eine neue Idee von Familie, von Gleichberechtigung ein, die dann wirklich die neue Verfassung, das neue Grundgesetz beeinflusst hat“, berichtet Clara.

„Von den Frauen wird immer noch erwartet, dass sie Kinder bekommen.“ – Die Rolle der Frau in Italien

Damit war der Kampf für Frauenrechte in Italien noch lange nicht beendet. „Die wichtigsten Gesetze, die Frauen betreffen, sind in Italien erst später in Kraft getreten. Das war vor allem in den 1970er, Anfang der 1980er Jahre.“ Nach dem Ende des Wirtschaftswachstums der Nachkriegszeit verloren viele Frauen ihren Job, besonders wenn sie heirateten. Die große feministische Bewegung der 1970er Jahre in Italien setzte sich für Schwangerschaftsabbrüche und Scheidungen ein und erkämpfte bereits 1963 ein Verbot, Frauen auf Grund ihrer Eheschließung zu kündigen. „Ein großes Problem, das wir hatten und teilweise noch haben, ist dass das Strafgesetzbuch und Zivilgesetzbuch während des Faschismus verabschiedet worden waren. Das heißt, da war die Familie und die Rolle der Frau sehr stark von faschistischen Ideologien geprägt.“ So gab es beispielsweise bis 1981 eine Strafmilderung bei Ehrenmord. Beide Gesetzbücher sind noch immer gültig, wenn auch in Teilen reformiert.

Einfluss auf die Rolle der Frau hat in Italien bis heute die Religion. „Der Einfluss der Katholischen Kirche ist immer noch da. Er war sehr prägend während des Faschismus, er war danach immer noch sehr prägend, weil die Regierung von der christlichen demokratischen Partei übernommen wurde […]. Er ist immer noch präsent und sehr stark, wenn es um Frauenrechte, aber auch um LGBTQI-Gesetze geht.“ Formell hat die Kirche keinen politischen Einfluss in Italien. Jedoch regelt ein Konkordat – Teil der 1929 zwischen Italien und dem Vatikan beschlossenen Lateranenverträge – das Verhältnis zwischen den beiden Staaten. Bemerkbar macht sich der Vertrag unter anderem in den aktuellen Diskussionen um ein Anti-Diskriminierungsgesetz in Italien.

Nicht nur auf politischer Ebene, auch in der Gesellschaft, ist dieser Einfluss spürbar. Clara Rigoni bemerkt besonders den Unterschied zu anderen Ländern. „Von den Frauen wird immer noch erwartet, dass sie Kinder bekommen, dass sie eine gute Frau für den Ehemann sind. Das ändert sich mit der Zeit, aber den Unterschied zwischen italienischen und deutschen Familien merke ich extrem, auch in den jüngeren Generationen. Auch in der Art, wie die Männer von den Müttern erzogen werden. Es gibt hier [in Deutschland] mehr Gleichheit, mehr Gerechtigkeit.“

Die traditionelle Vorstellung der Frau als Mutter erschwert auch ihre finanzielle Unabhängigkeit. In Italien werden kaum Halbzeitstellen angeboten. Für Mütter mit Kindern findet sich so kaum eine Möglichkeit Familie und Job zu vereinen.

Auch am Arbeitsplatz sind Frauen noch immer in einer schlechteren Position. “Offiziell in den Statistiken ist der Gender Pay Gap bei 8,7%-10%. Das ist aber ein bisschen tricky, weil da nicht alle Parameter einberechnet sind.“ So berücksichtigen die Statistiken beispielsweise nicht, dass in Italien allgemein viel weniger Frauen berufstätig sind. 2020 waren es bei den Männern 67,5%, bei den Frauen gerade einmal 48,6%. Das liegt auch an den Auswirkungen der Corona-Pandemie. „Wir hatten bis 2018 eine gute Tendenz, als die Frauen mehr arbeiteten, und anfingen mehr zu verdienen. Aber durch die Pandemie hat sich dieser Trend wieder umgekehrt. Die Frauen sind die, die viel häufiger einen Job verloren haben momentan in Italien, die noch weniger verdienen als zuvor im Vergleich zu den Männern.“

„Man fühlt sich ein bisschen fremd.“ – Frauen in der Politik

In Spitzenpositionen an privaten Arbeitsplätzen, aber auch in der Politik, mangelt es an Frauen. Und das, obwohl Frauen in Italien besser ausgebildet sind als Männer. Für die Politik gibt es daher seit einigen Jahren in Italien eine Quotenregelung: Parteien müssen für jede Wahl mindestens 40% Frauen nominieren (sowie auch 40% Männer). Sie finden jedoch immer wieder Wege, um die letztendliche Wahl der Frauen zu umgehen. Momentan sitzen nur knapp über 30% Frauen im Nationalen Parlament. „Das System der Quote ist natürlich nicht das, was wir uns langfristig wünschen, aber ich glaube, das ist notwendig bei so einem System, wo die Mentalität noch so alt und patriarchalisch ist und die Männer viel mehr Möglichkeiten haben sich nach vorne zu stellen und voranzukommen.“

Die unterdurchschnittliche Präsenz von Frauen in der Politik ist auch mit der traditionellen Rolle verknüpft. Wenige Frauen schaffen es, neben einem Job und der Verantwortung für Kinder und Haushalt noch die Zeit zu einem freiwilligen Engagement in einer Partei zu finden. Und als eine von wenigen fällt der Einstieg nicht leichter, bemerkt Clara Rigoni, die selbst in einer Partei aktiv ist. „Es gibt auch ein wenig dieses Gefühl, dass man sich nicht traut, es ist so stark männerdominiert, man hat so ein bisschen das Gefühl, dass man nicht dazu gehört. Man fühlt sich ein bisschen fremd.“ In letzter Zeit hat sie jedoch das Gefühl, eine leichte Veränderung zu beobachten. Trotzdem resümiert Clara Rigoni: „Es ist traditionell eine männliche Aktivität, Politik in Italien.“

„Wir haben A-Klassen und B-Klassen Migranten“ – Migrant:innen Wahlrecht in Deutschland

Wofür Frauen in Italien über einen langen Zeitraum kämpfen mussten, bleibt vielen Migrant:innen in Deutschland verwehrt: Das Recht zu Wählen. Clara selbst ist seit Januar deutsche Staatsbürgerin und damit wahlberechtigt. Für sie war das der wichtigste Aspekt ihrer Einbürgerung. „Das hat vielleicht einen Grund, warum Ausländer nicht wählen dürfen, man braucht natürlich gewisse Kenntnisse über das Land, die Sprache. Was ich aber sehr ungerecht finde, ist dass bei den Kommunalwahlen nur europäische Bürger wählen dürfen, und nicht-europäische Bürger dürfen das nicht. Das gleiche gilt auch für die Staatsangehörigkeit. EU-Bürger dürfen ihre Staatsangehörigkeit behalten, ich durfte meine Staatsangehörigkeit behalten, und jemand aus der Türkei darf das nicht. Das ist sehr unfair, weil jemand aus Italien und der Türkei kann die gleichen Kenntnisse über Deutschland haben und erwerben über die Jahre.“

Die Exklusion durch ein fehlendes Wahlrecht erschwert für Clara auch die Integration in ein Land. Besonders für außereuropäische Zugewanderte sieht sie die Gefahr von Isolierung und Ghettoisierung. Zwar betont sie auch die Bedeutung der EU, erklärt aber trotzdem: „Wir haben A-Klassen und B-Klassen Migranten.“

In ihrem Wohnort Freiburg sieht Clara jedoch viele Aktivitäten, um Zugewanderte zu integrieren. Auf Landesebene sieht sie sich als Migrantin noch nicht gut repräsentiert. An Frauen appelliert sie: „Was ich mir wünsche, ist dass Frauen keine Angst mehr haben, Sachen zu machen, sich zu engagieren, sich sichtbar zu machen. Das sage ich aber auch mir selbst.“

Clara Rigoni

Clara Rigoni ist Juristin und forscht zum Strafrecht in multikulturellen Gesellschaften und zu Straftaten mit Frauen in der Opferrolle, wie Gewalt im Namen der Ehre und Zwangsheiraten. Nach internationalen Erfahrungen in Frankreich, Holland und den USA kam die gebürtige Italienerin 2013 nach Deutschland.

Foto: Cecilia Frati