Ein Gespräch mit Kirstie Angstmann über Frauenrechte in Ghana und Migrant:innen-Partizipation in Deutschland.
Januar 2019 – Deutschland feiert 100 Jahre Frauenwahlrecht. Zu diesem Anlass schreibt Kirstie Angstmann einen Artikel für ein Themenheft des Vereins „Wahlkreis 100%“ über das Frauenwahlrecht in Ghana. Während wir in Deutschland schon wenig genug über die Geschichte unserer Frauenwahlrechtsbewegung wissen, wissen wir noch weniger über historische Aktivistinnen aus anderen Ländern. Dabei hat jedes Land seine eigene Geschichte zu erzählen, über mutige Frauen und Vorreiterinnen. So auch Ghana.
Ghana liegt in Westafrika. Einst war es in viele kleinere Königreiche aufgeteilt. 1874 wurde das Gebiet unter dem Namen „Goldküste“ zur britischen Kolonie. Erst 1957 konnte Ghana sich als erstes subsaharisches Land von den Kolonialisten befreien. 1954, noch unter der britischen Herrschaft, wurde das aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt. Doch die Geschichte weiblicher Partizipation hat in Ghana Tradition und beginnt lange vor der Kolonialzeit.
Yaa Asentewaa und die Rolle der Königinmutter
Eine recht einzigartige Rolle spielt dabei die Position der Königinmutter des Ashanti-Reichs, das heute eine Teilregion von Ghana darstellt.
„Bei uns hat die Königinmutter eine wichtige Rolle in unserer Tradition. Die Königinmutter ist in unserem System das politische Oberhaupt der Frauen in der Gemeinschaft. Sie ist einzigartig in unserer Tradition und hat eine einzigartige Rolle zu spielen, wie zum Beispiel die Ernennung des nächsten Königs. In einigen Fällen hatte sie ihr eigenes Gericht, um sich mit weiblichen Angelegenheiten zu befassen. Und sie hatte eine beratende Rolle sowie die Beratung des Chiefs. Ohne die Entscheidungen der Königinmutter wählte niemand den Chief. Das bedeutet, in unserer Tradition war diese Rolle der Frauen sehr wichtig“, erklärt Kirstie Angstmann.
Die Königinmutter war dabei allerdings selten die wirkliche Mutter des Königs. Meist handelte es sich um eine Tante, Schwester oder Cousine. Diese Frau an der Seite des Königs war die zweitmächtigste Person im Reich. Noch heute gibt es in einigen Dörfern in Ghana Königinnenmütter. Eine Königinmutter erfreut sich bis heute in Ghana einer großen Popularität: Yaa Asentewaa.
„Sie ist eine Politikerin, Menschenrechtsaktivistin, Königin und eine führende Persönlichkeit gewesen.“ 1900 führte sie den letzten großen Aufstand der Ashanti gegen die britische Kolonialmacht, um den König des Reiches und den goldenen Stuhl – das heiligste Symbol der Ashanti – zu befreien. „Ich sehe, dass einige von euch Angst haben vorzutreten und für unseren König zu kämpfen. Der Mut der Ashanti existiert nicht mehr. Ich kann es nicht glauben und deshalb sage ich ihnen: Wenn die Männer der Ashanti nicht kämpfen, dann werden wir Frauen kämpfen. Wir werden gegen die Weißen kämpfen. Wir werden kämpfen, bis der Letzte von uns auf dem Schlachtfeld fällt“, zitiert Kirstie die Rede der Königinmutter Yaa Asantewaa von Ejusu, mit der sie den Aufstand entfachte. Im anschließenden Feldzug gegen die Briten behauptete sich Yaa Asentewaa als strategische Führungskraft.
Doch die Macht, die Frauen durch die Rolle der Königinmutter hatten, ist über die Jahre verloren gegangen. „Wenn wir vergleichen; damals, das war vor der Kolonialzeit und jetzt sind wir unabhängig, jetzt haben die Frauen nicht so eine Stimme, nicht so eine Freiheit, nicht so ein Recht.“
„Menschenrecht muss nicht geschlechterspezifisch sein“ - Frauen und Bildung im heutigen Ghana
Als Problem für die schlechte Stellung der Frauen im heutigen Ghana sieht Kirstie den Zugang zur Bildung: „Nach unserer Unabhängigkeit – und jetzt die Verfassung von 1992 – gibt den Menschen das gleiche Recht zu wählen, aber die Bildung der Mädchen wurde nicht in den Vordergrund gestellt. Nur wenige Frauen bekommen Bildung. Obwohl es mehr Frauen in der Gesellschaft in Ghana gibt, werden mehr Männer gebildet“ Schon als junge Frau in Ghana hat Kirstie sich mit der Organisation LydiaLadies gegen die Vorstellung engagiert, dass Frauen zu Hause bleiben und Kinder bekommen sollen.
Jetzt sieht sie Hoffnung für Frauen in ihrem Herkunftsland, nicht zuletzt auch durch die Symbolfigur von Yaa Asentewaa.
„Die Figur Yaa Asentewaa hat uns richtig motiviert, dass das, was Männer machen können, wir als Frauen auch machen können. Yaa Asentewaa war nicht gebildet, aber sie kannte ihr Recht und ist immer vorausgegangen. Sie hat so stark gesprochen und diese Worte sind im Moment ein großer Anspruch für uns Frauen in Ghana und gibt uns die Motivation immer nach vorne zu gehen. […] Im ganzen Parlament gibt es 257 Mitglieder, von diesen 257 sind 35 Frauen. Es ist sehr niedrig, aber es ist besser geworden als früher…“
Immer mehr Frauen in Ghana studieren, kennen ihre Rechte. 1987 war nur jedes elfte ghanaische Schulkind einer weiterführenden Schule ein Mädchen. Mittlerweile schließen fast genauso viele Mädchen wie Jungen die Sekundarstufe ab. Auch mit der Hilfe von feministischen Aktivistinnen verblassen die patriarchalen Strukturen im Land immer mehr. Doch Kirsties Wunsch für ghanaische Frauen bleibt, denn noch ist es ein langer Weg bis zu einer vollständigen gesellschaftlichen Gleichberechtigung. „Es ist wichtig, dass wir Frauen Bildung bekommen. Menschenrecht muss nicht geschlechterspezifisch sein. Wir müssen alle gleichberechtigt leben.“
Die derzeitige schwache Gleichstellung der Geschlechter in Politik und Entscheidungsfindung ist ein dringendes Menschenrechtsthema, sagt Kirstie. Governance sei immer noch ein Idealzustand, den die meisten Frauen besonders anstreben. Mangelndes staatsbürgerliches Wissen und bestimmte soziale Normen unter Frauen haben ihre Beteiligung und Repräsentation bei Entscheidungen, Wahlen und Regierungsführung verschlechtert.
Organisationen in Ghana, die für die Rechte der Frauen kämpfen
- Gender Centre for Empowering Development (GenCED) ist ein Verein, der sich für die Stärkung von Frauen und Jugendlichen für eine nachhaltige Entwicklung in Ghana einsetzt.
- Womens Trust: Förderung des Potenzials von Frauen und Mädchen in Not durch Bildung und wirtschaftliche Entwicklung.
„Lasst uns etwas beitragen“ – Migrant:innenpartizipation in Deutschland
Gleichberechtigt leben, etwas wofür Kirstie sich lange Zeit in ihrem Herkunftsland eingesetzt hat, ist für sie auch in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Als Migrantin aus einem Drittstaat, also einem Land, dass nicht zur EU gehört, hat sie ohne deutschen Pass keine Möglichkeit, sich an Wahlen zu beteiligen. Um mehr politisches Mitspracherecht zu haben, hat sich Kirstie für den deutschen Pass entschieden. „Es war schmerzhaft, meine Nationalität und meine Wurzeln aufzugeben, das aufzugeben, was ich von Geburt an kannte.“ Doch nicht alle Migrant:innen haben die Möglichkeit, einen deutschen Pass zu erhalten. Damit haben sie keine Chance an politischen Entscheidungen teilzunehmen, obwohl sie doch einen Teil zur Gesellschaft beitragen. „Wir leben hier, als Zuwanderer, wir arbeiten hier, wir zahlen hier unsere Steuern. Also warum dürfen wir nicht wählen? Das ist immer meine Frage.“ Kirstie sieht die Zuwander:innen dadurch in eine ungewollte Passivität gezwungen, die auch den Integrationsprozess erschwert. Dabei betreffen Entscheidungen in der Politik Migrant:innen ebenso, wie alle anderen Einwohner Deutschlands auch.
„Wir sind nur Besucher in eurem Land. Wir haben keine Entscheidung hier. Viel wird diskutiert, aber wir nehmen nicht teil. Nur wenn wir unsere Nationalität ablegen. Man kann jemandem nicht seine Identität wegnehmen. […] Politische Entscheidungen prägen das Leben von uns jungen Zuwanderern in vielen Bereichen, doch unsere Stimmen sind unterdurchschnittlich in öffentlichen Debatten und Entscheidungsprozessen vertreten.“
Hürden bei der Partizipation sieht Kirstie auf der Seite der Regierung, aber auch bei Migranti:innen selbst. Sie appelliert an beide Seiten. Migrant:innen sollen bessere Integrationsmöglichkeiten angeboten werden. Gleichzeitig soll aber auch die Chance gesehen werden, die Zuwander:innen für ein Land darstellen.
„Was ich sehe, seit ich in Deutschland bin, unsere afrikanischen Leute hier sind etwas passiv. Und wenn man passiv ist, dann kann man sich nicht integrieren. Es muss gemeinsam passieren. Aber auf der anderen Seite sind sie passiv, weil die Norm der Akzeptanz nicht da ist. Wenn jemand hierherkommt und sie fühlen sich nicht akzeptiert, dann ist es auch schwierig. Dann ist es wie die Schnecke in ihrem eigenen Haus, dann ist es schwierig herauszukommen. Aber trotzdem müssen wir uns hier integrieren. Wir müssen das System lernen, die Bildung, die Sprache. Wir müssen die Sprache üben. Wir müssen als Zuwanderer die Chance auf Arbeit bekommen, um mit den Leuten umzugehen und die Sprache zu verbessern. Es gibt viele Möglichkeiten, viele Fachkräfte, wir können auch mitmachen, als gemeinsames. Es sind beide Seiten. Lasst uns etwas beitragen.“
Sowohl in Ghana als auch in Deutschland, sowohl als Frau, als auch als Migrantin: Kirstie Angstmann gibt nicht auf, sich dafür zu engagieren, dass politische Mitbestimmung für alle möglich wird.
„Ich habe immer Interesse an politischen Sachen, weil ich finde, unsere Stimme muss zu hören sein.“
Kirstie Angstmann wurde 1979 in Ghana geboren. Sie studierte Kulturmanagement in England und Marketing am Green Hill College, Ghana.. In Ghana engagierte sie sich für mehr Rechte und Freiheiten für Frauen. Jetzt sitzt in der Kommission für Frauen im Migrant:innenbeirat von Freiburg. Seit sechs Jahren lebt Kirstie in Deutschland.
Foto: Christian Hanner