Ein Gespräch mit Aminata Rachow über Frauen in Burkina Faso und Migrant:innen in der deutschen Politik.
Burkina Faso liegt im Westen Afrikas. 1946 wird noch unter französischer Kolonialherrschaft das passive Wahlrecht für Frauen eingeführt. Erst mehr als 30 Jahre später wird die erste Frau ins Parlament gewählt. Armut, schlechte Bildungschancen und die daraus resultierende Korruption bescheren burkinischen Frauen einen langen Weg zur gesellschaftlichen Gleichberechtigung, berichtet Aminata Rachow. Die deutsch-burkinische Aktivistin hat einen kritischen Blick auf die Lage in ihrem Herkunftsland.
„Wir haben nichts zu sagen“ –
Die Rolle der Frau in Burkina Faso
Hinsichtlich der Frauenrechte gilt Burkina Fasos Verfassung als eine der fortschrittlichsten in ganz Afrika. Die Verheiratung Minderjähriger sowie Genitalverstümmelungen sind verboten, Parteien müssen zu mindestens 30% Frauen nominieren. Doch die Realität für Frauen in Burkina Faso sieht ganz anders aus. Frauenrechte existieren auf dem Papier, finden ansonsten jedoch kaum Beachtung. „Das ist nur mündlich, praktisch gibt es das nicht, praktisch haben wir nichts zu sagen. Man muss machen, was die Männer sagen. Die Männer haben immer noch Macht über Frauen, das ist so. Und so ist es auch im Büro, wenn man arbeitet, mit dem Gehalt oder in der Schule.“ erzählt Aminata.
In Burkina Faso wurde 1946 das passive und 1958 das aktive Wahlrecht für Frauen eingeführt. Zwar existiert dieses Recht, es wird jedoch häufig durch Korruption missbraucht, begünstigt durch die große Armut. Etwa 45% der Burkinabe leben unter der Armutsgrenze. Beim Korruptionswahrnehmungsindex erreicht das Land gerade mal 40 von 100 Punkten. „Das ist manchmal naiv, manchmal wegen des Hungers, dass man für ein bisschen Geld seine Stimme verkauft. Besonders sind das Frauen, die in den Dörfern leben und nicht viel haben. Sie bekommen schon mit, dass die Regierung nicht gut für sie ist. Aber sie werden korrumpiert, einfach für einen Sack Reis, ein paar Euro, ein T-Shirt.“
Besonders schlecht steht die Lage bei der Schulbildung. Nur 50% der Mädchen besuchen überhaupt eine Grundschule. Zwar sinkt der Anteil von Analphabeten in Burkina Faso stetig, doch ist die Prozentzahl bei Frauen noch immer höher als bei Männern. 2014 konnten 47% der jungen Männer schreiben, aber nur 33% der jungen Frauen. „Man merkt, dass die Jungen mehr in die Schule gehen bei uns als die Mädchen. Und wenn die Mädchen in die Schule gehen, werden sie meistens schon mit 12, 14, 15 Jahren rausgenommen aus der Schule, entweder um Mama zu helfen zu Hause oder um zu heiraten – Zwangsheirat – oder zu einer Tante geschickt, um zu helfen.“
Auch hierbei ist die Situation der Frauen nicht selten auf die hohe Armut im Land zurückzuführen. „Manchmal ist es Not. Aber in der Not werden die Mädchen ausgenutzt.“ Um der Familie etwas Geld einzubringen, werden junge Mädchen an ältere Männer verheiratet, die sich aufgrund ihrer ökonomischen Stellung um die Familie kümmern können. Zwar ist das gegen das Gesetz, geschieht aber trotzdem immer wieder. „Wir sind einfach nicht respektiert, wir werden nicht wahrgenommen. Wir haben nicht mal ein Recht zu klagen. Du wirst verheiratet, du wirst nie wieder in die Schule gehen, weil es eben so ist. Manchmal sagen die Lehrer was, manchmal macht die Justiz was. Aber bei den Leuten, die weit weg im Dorf leben, da kannst du nichts machen.“
„Nicht nur die Frauen, die sichtbar sind“ –
Frauenengagement und Vorbilder
Sowohl in der Politik als auch in der Bildung gibt es wenige Vorbildfunktionen für Frauen. Nur selten gibt es weibliche Lehrkräfte in Burkina Faso. Eine von ihnen ist Monique Ilboudo. 1992 wurde sie die erste Professorin an einer burkinischen Universität. Die erfolgreiche Autorin und studierte Juristin setzt sich für Frauenrechte ein, veröffentlichte regelmäßig eine feministische Kolumne und gründete eine Organisation, die die Lage der Frauen in ihrem Land dokumentieren soll. Zu Beginn der 2000er Jahre bekleidete sie politische Ämter sowohl als Ministerin für Menschenrechte als auch als Botschafterin. „Sie kämpft für die Frauen, sie ist einfach ein Vorbild für viele Frauen in Burkina Faso.“
Neben erfolgreichen Aktivistinnen schreibt Aminata auch anderen eine wichtige Rolle in der Repräsentation der Frauen zu. „Für mich sind engagierte Frau nicht nur die Frauen, die sichtbar sind. Also nicht nur die Frauen, die man im Fernsehen sieht, die Autorinnen sind oder Professorinnen. Für mich gibt es auch die Frauen, die für die anderen Frauen kämpfen, die keinen Zugang zu Netzwerken haben. Diese Frauen leben weit weg von der Stadt in den Dörfern. Es sind die Frauen, die andere Frauen aufsuchen, um ihnen zu vertrauen, um zu reden. […] Sie repräsentieren die Dorffrauen. Das sind Frauen, die wirklich für die anderen Frauen kämpfen. Das ist auch eine Art von Engagement, für andere Frauen dazu sein.“
Trotz wachsender Sensibilisierung und mutigen Frauen, die im kleinen oder großen Kreis für ihre Rechte kämpfen und anderen Frauen Zuversicht geben, verbessern sich die Aussichten für sie nur langsam. „Es gibt schon Veränderung, aber der Weg ist noch weit weg. Wir sind noch nicht so weit mit dieser Zwangsverheiratung und mit Frauen, die keine Rechte haben, etwas zu sagen.“
„Es geht um Veränderung“ – Migrant:innen in der deutschen Politik
Während in Burkina Faso die politische und gesellschaftliche Repräsentation von Frauen beklagenswert ist, wird in Deutschland ein anderer Teil der Bevölkerung von der politischen Partizipation ausgeschlossen: Migrant:innen. Was Frauen in Burkina Faso seit 1958 und in Deutschland schon seit 1919 dürfen, bleibt Zugewanderten verwehrt. Nur wer einen deutschen Pass hat, darf sich auch an Wahlen beteiligen. Dabei ist die Möglichkeit seiner Stimme Gehör zu verschaffen von großer Bedeutung. „Meine Stimme ist mir sehr wichtig, jede Stimme ist sehr wichtig. […] Für mich bedeutet wählen viel. Es geht nicht nur darum den Zettel in die Wahlurne zu werfen. Es geht um Veränderung.“
Aminata selbst hat einen deutschen Pass, wünscht sich die Möglichkeit zur Stimmabgabe aber auch für andere Migrant:innen. „Man muss den Migranten oder Migrantinnen mehr Freiheit zu wählen geben, auch wenn sie noch nicht den Pass haben. Viele Migranten arbeiten hier in Deutschland und zahlen ihre Steuern, sie werden jahrelang hier arbeiten.“ Auch den partizipativen Faktor einer Wahlbeteiligung hebt sie hervor: „Integration bedeutet auch, ich baue gerade meine Zukunft. Und dann sollte man mir auch die Gelegenheit geben zu wählen, meine Stimme zu geben, an wen ich will.“
Aber nicht nur in der aktiven, auch in den passiven Wahlvorgängen sieht Aminata Menschen mit Migrationserfahrung noch unterrepräsentiert. „Entweder trauen sie sich nicht oder sie fühlen sich nicht willkommen. Es gibt schon Migrant:innen in der deutschen Politik, aber die meisten sind eher im Hintergrund.“ Als positive Beispiele nennt Aminata Karamba Diaby und Aminata Touré. Diaby ist Mitglied der SPD und Bundestagsabgeordneter. 2013 wurde er als erster in Afrika geborener, dunkelhäutiger Mensch in den Bundestag gewählt. Touré ist Politikerin bei den Grünen mit malischen Wurzeln. 2019 wurde sie mit gerade einmal 26 Jahren zur Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags ernannt.
Probleme gibt es aber immer noch bei der Wahrnehmung in der Gesellschaft. „Bei Ausländern wie mir, wenn ich sage, dass ich Politik machen möchte, wird man nicht gleich meine Ideen sehen, sondern erstmal meine Hautfarbe und dann erst kommen meine Ideen.“
Während Aminata an den Mut der Migrant:innen appelliert, sich häufiger politisch zu engagieren, wünscht sie sich von der deutschen Politik eine geänderte Sichtweise auf Migration. „Migranten bedeuten nicht nur Negatives, das ist auch positiv. Wir sind alle Migranten auf dieser Welt. […] Man lernt von Migranten, genauso wie Migranten etwas von den Deutschen lernen.“ Ebenso wie beim Frauenrecht gilt auch hier:
„Der Weg ist lang, wir müssen uns gegenseitig tolerieren, akzeptieren, miteinander reden.“
Aminata Rachow engagiert sich beim „Burkinischen Verein in Freiburg und Umgebung“, der afrikanische Migrant:innen bei der Integration in Deutschland unterstützt. Gleichzeitig ist sie auf Social Media aktiv, um auf Korruption und Zwangsheirat in ihrem Herkunftsland Burkina Faso aufmerksam zu machen. Seit 2003 lebt die gelernte Krankenpflegerin in Deutschland.
Foto: Bente Gossel